Making-Of
Auf dieser Seite erzählen wir (vermutlich zu ausführlich, dennoch unvollständig und ganz sicher viel zu linear), wie Creative Company entstanden ist. Auch wenn sich alles tatsächlich viel unübersichtlicher, unvorsehbarer, verworrener und widerspruchsvoller zutrug, als wir es hier darstellen können, gelingt es uns hoffentlich trotzdem, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie aufregend es sein kann, sich auf den Weg zu machen, um einer Frage nachzugehen, und darüber Dinge zu entdecken, die zuvor im Unvorstellbaren lagen.
Aufbruch ins Unbekannte
Bald ist es zwanzig Jahre her, dass wir zum ersten Mal darüber sprachen, wie künstlerisches Denken und Handeln übertragen auf andere Bereiche unsere Gesellschaft und besonders unsere Wirtschaft verändern könnten. Damals wie heute ging jeder Überlegung ein Gefühl voraus, dass man angesichts der herausfordernden Probleme, die Globalisierung, Deregulierung, zunehmende Dynamik und viele andere Entwicklungen mit sich bringen, Dinge besser machen müsse, als es bislang der Fall war. Unsere schlichte Hypothese lautete: Wenn man das Künstlerische in uns stärkt, macht uns das kreativer und innovativer. Vor allem aber wird unser Handeln dadurch bedeutsamer, es führt zu mehr Selbstwirksamkeit – und das wiederum wirkt sich positiv auf unsere Organisationen, unsere Gesellschaft und sagen wir es ruhig, auf unser aller Leben aus.
Natürlich wurde schnell klar, dass man diesen Überlegungen nicht nur Zustimmung entgegenbringen kann. Es ist nie leicht, Grenzen zu überwinden. Das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft jedoch wird in besonderem Maß von Vorurteilen und Berührungsängsten geprägt. Auf Künstlerseite will man sich verständlicherweise vor Beanspruchung und Ökonomisierung schützen, mit der man sich bereits tagtäglich in Gestalt eines von massivem Konkurrenzdruck geprägten Kunst- und Kulturmarkts auseinandersetzen muss.
Manchmal führt der Wunsch, die Freiheit der Kunst zu verteidigen, auch zu einem Fanatismus, der jeden Kontakt mit Fragen der Wirtschaft ablehnt. Auch die Perspektive der Wirtschaft auf die Kunst war damals (lange vor Design Thinking, Agile, New Work, Achtsamkeit und Corporate Happiness) ernüchternd. In den meisten Fällen fand man damals Manager, die sich vor Kunstwerken fotografieren ließen, Unternehmen, die Künstler zu Werbezwecken engagierten und ähnliches. Es gab (und gibt sicher immer noch) Unternehmen, in denen der Titel Künstler unter Ingenieuren alles andere als schmeichelhaft war. Wenn wir Beispiele einer echten Zusammenarbeit finden konnten, dann waren diese immer an das persönliche Engagement einiger Weniger gebunden und hatten über den Zeitraum ihres Wirkens hinaus kaum Bestand.
Irgendwann kamen wir nicht weiter und ließen alles auf sich beruhen. Doch wenn unser Scheitern für eines gut war, dann dafür, ein kleiner, aber beständiger Reiz zu sein, unsere Überlegungen in vielen Gesprächen wieder und wieder zu thematisieren. Dieses “Reifreden” ist wahrscheinlich ein Grund dafür, dass es heute eine Organisation wie Age of Artists gibt, die gewissermaßen Heimat dieses Buches ist und sich als Unternehmen, offene Gemeinschaft und Netzwerk gleichermaßen versteht, das Gleichgesinnte mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen, Künstler, Manager, Psychologen, Designer, Architekten, Anthropologen, Physiker, Ingenieure, Entwickler aus unterschiedlichen Ländern verbindet.
Der eigentliche Auslöser, das Thema wieder aufzunehmen, war jedoch viel konkreter: Einige der Gründungsmitglieder von Age of Artists waren in ein großes Konzernprojekt involviert, das zweimal abgebrochen werden musste, um im dritten Anlauf dann schließlich erfolgreich zu sein. Wir fragten uns, warum es diesmal gelungen war, und fanden heraus, dass nicht nur Menschen mit betriebswirtschaftlicher oder technischer Ausbildung beteiligt waren, sondern auch Architekten, Designer, Sprachwissenschaftler, Psychologen und Anthropologen.
Außerdem stellten wir fest, dass wir im Gegensatz zu früher weniger linear, dafür iterativ, manchmal spielerisch, man könnte auch sagen, künstlerisch vorgegangen waren, was das Ganze nicht nur befriedigender sondern letztendlich auch erfolgreicher gemacht hatte.
Und da war sie wieder: Die Idee, von Künstlern zu lernen, wie man Dinge auch außerhalb der Kunst besser machen kann. Mit einem Mal sahen wir überall Menschen, die einen Bezug zur Kunst hatten, sich künstlerisch betätigten und das bewusst oder unbewusst zu einem Vorteil im Umgang mit Komplexität und Dynamik entwickeln konnten. Manche von ihnen waren freier von Vorurteilen, neugieriger oder konnten sich besser in andere einfühlen. Sie waren kreativer als andere oder konnten besser mit Unsicherheit und Fehlern umgehen. So idealisiert das hier klingen mag, man sollte uns keinesfalls so verstehen, dass wir Künstler für bessere Menschen halten. Uns geht es weder um einzelne Kunstwerke noch den einzelnen Künstler, weil diese in ihrer Individualität nicht übertragbar sind und nur für sich wirken und stehen können. Allerdings – und das stellte den eigentlichen Durchbruch dar – sahen wir jetzt, dass sich, wenn man vom Individuellen abstrahiert, Elemente einer künstlerischen Haltung und künstlerischer Arbeitsweisen sehr wohl in andere Bereiche übertragen lassen – und das, ohne damit die Eigenständigkeit der Kunst in Gefahr zu bringen.
In dieser ersten Erkenntnis ist bereits der Schlüssel zu einer zweiten enthalten: Das, was man aus individueller Verhaltensweise abstrahiert, lässt sich auch nur auf den einzelnen Menschen übertragen. Jede Veränderung muss also vom Individuum, von der Änderung seiner Haltung und seiner Arbeitsweise ausgehen. Dabei ist es unerheblich, welchen Gegenstand seine Arbeit hat, ob er singt, dichtet, malt oder ob er Software entwickelt, Patienten behandelt, Menschen ausbildet oder einem Handwerk nachgeht. Wenn aber künstlerisches Gestalten auch abseits der Kunst möglich ist – und das ist die dritte wichtige Einsicht – dann kann das Ergebnis auch ein Produkt, eine wissenschaftliche Erkenntnis und selbst so etwas Weitgehendes wie eine soziale Reform sein.
Die Feststellung, dass sich Elemente der künstlerischen Haltung und künstlerischer Arbeitsweisen auf Menschen übertragen lassen, die sich außerhalb der Kunst bewegen, war befreiend für uns und half ganz entscheidend dabei, die richtigen Forschungsfragen zu stellen.
Eine anfangs kleine Gruppe fing an, sich regelmäßig zu treffen, zu diskutieren und erste Texte zu verfassen. Einer dieser frühen Texte wurde überraschend von einem europaweiten Kulturmanagement-Netzwerk publiziert.
Das wiederum führte dazu, dass sich unser Kreis vergrößerte. Wir konnten auf neue Quellen und Forschungsergebnisse zugreifen, lernten neue Menschen und beispielhafte Organisationen kennen, erhielten neue Impulse und letztendlich spornte uns das öffentliche Interesse auch zu mehr an. Beispielsweise dazu, mit Age of Artists aus einer losen Gemeinschaft ein gemeinnütziges Beratungs-, Ausbildungs- und Forschungsunternehmen entstehen zu lassen, das es sich zum Auftrag macht, künstlerische Sichtweisen und Praktiken in andere Disziplinen zu übertragen. Inzwischen existiert das Unternehmen seit mehr als drei Jahren und freut sich auch über zunehmendes Interesse auf Kundenseite.
Im weiteren Verlauf intensivierten wir unsere Nachforschungen, die auch die Grundlage für unser Buch bilden. Was unsere Erkenntnisse lebensnah und anwendbar macht, ist, dass wir bis heute weit über 100 Gespräche mit Künstlern aller Genres, aber auch mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen und mit zahlreichen Wirtschaftsvertretern geführt haben, denen Sie auch in unserem Buch begegnen werden.
Das Wirtschaftsmagazin Brand eins hat dem, was wir tun, einen Artikel gewidmet, den es für uns sehr schmeichelhaft mit “Der Da-Vinci-Code” betitelte. Doch ist es tatsächlich ein Code, den es zu entschlüsseln gilt? Natürlich nicht. Vielmehr geht es um eine Reihe von Beobachtungen, die jeder von uns machen und nutzen kann, wenn er denn will.
Der Spiegel bezeichnete uns in einem Sonderheft zum Thema Kreativität ebenso wohlwollend als “Kulturrevolutionäre”. Und auch das trifft es natürlich nicht. Wir arbeiten nicht auf eine Neuordnung der Dinge hin, sondern empfehlen eher die Besinnung auf eine Haltung und Fähigkeiten, wie sie in jedem von uns angelegt und bei Künstlern manchmal nur etwas unverstellter zu finden sind.
Dass wir diese in vielen Fällen erst entdecken und freilegen müssen, hat etwas mit der Einseitigkeit unserer wirtschaftlich geprägten, auf Effizienz und Wachstum ausgerichteten Gesellschaft und ihrer Bevorzugung analytisch-rationalen Vorgehens zu tun. Dieser Einseitigkeit, man könnte auch sagen, dieser Spezialisierung haben wir vieles zu verdanken. Sie stellt uns aber auch vor große Herausforderungen, denen man, wie wir zeigen werden, besser begegnen kann, wenn man ihr das Künstlerische stärker als bisher komplementär zur Seite stellt. Creative Company steht für uns in diesem Zusammenhang sowohl für das sich ständig erneuernde Unternehmen als auch für das gemeinschaftliche Gestalten in guter Gesellschaft (Good Company).
Es hat doppelt so lange gedauert, Creative Company zu schreiben, als ursprünglich geplant. Und selbst jetzt fühlt es sich nicht fertig an. Denn die Gespräche und mit ihnen die Gedanken, die diesem Buch zugrunde liegen, entwickeln sich weiter und täglich kommen neue Menschen, neue Sichtweisen und Ideen hinzu. Dieses Buch ist das Werk vieler und dafür sind wir sehr dankbar.
Blüte der Praxis
„Die Theorie ist nicht die Wurzel, sondern die Blüte der Praxis“, befindet der österreichische Lyriker Ernst Freiherr von Feuchtersleben und stellt damit handstreichartig die gängige Definition auf den Kopf, dass sich eine Theorie aus dem Denken entwickeln und dann durch Beobachtungen prüfen lassen muss. Und gerade dann, wenn es wie in unserem Fall darum gehen soll, der menschlichen Gestaltungskraft ein Modell oder etwas in der Art einer Kreativitätstheorie zu widmen, kommt einem von Feuchterslebens Umkehrung doch sehr passend vor: Das Bild entwickelt sich aus der Beobachtung künstlerisch handelnder Menschen, die Theorie entspringt ihren Erfahrungen. Sie beschreibt Zusammenhänge, die ein großes, beziehungsreiches Ganzes ergeben. Sie ist keine Methode, kein Rezeptbuch, das man abarbeiten kann, um dadurch kreativer zu werden. Sie ist vielmehr ein Mittel, das Menschen helfen kann, ihr eigenes Bild, ihre eigene Theorie aus persönlichen Erfahrungen entstehen zu lassen. Sie ist vielschichtig, manchmal bis zur Unüberschaubarkeit. Sie ist immer vorläufig und verändert sich ständig.
Unseren Ausgangspunkt bilden die globalen Herausforderungen unserer Zeit wie auch Anforderungen, die sich aus unserem Streben nach wirtschaftlichem Wachstum und technologischem Fortschritt ergeben, weil sie es sind, die (zumindest in der Wahrnehmung vieler Menschen) zu mehr Komplexität, Dynamik, Ungewissheit und Volatilität führen.
Im Versuch mit diesen vier Zuständen umgehen zu können, drängt sich eine naheliegende und deswegen oft zu beobachtende Reaktion förmlich auf: Man macht das gewünschte Ergebnis zum Prinzip des eigenen Handelns. Man versucht, Komplexität mit Vereinfachung, Dynamik mit Entschleunigung, Ungewissheit mit Planung und Kontrolle und Volatilität (die sich beispielsweise in der Gestalt von Krisen zeigt) mit Abhärtung zu begegnen. Als uns klar wurde, dass für Künstler Komplexität, Dynamik, Ungewissheit und Volatilität nicht etwa zu vermeidende oder zu beseitigende sondern vielmehr begrüßenswerte Zustände darstellen, lag die Vermutung nahe, dass sich im Künstlerischen möglicherweise bessere Antworten darauf finden lassen, wie man mit diesen Zuständen umgehen sollte.
Wir konnten feststellen, dass künstlerische Menschen über eine ganz besondere Haltung verfügen, deren wesentliche Elemente Neugier, Leidenschaft, Zuversicht und Widerstandsfähigkeit sind. Diese Haltung findet man zwar gehäuft bei Künstlern, sie ist dieser Gruppe aber keineswegs vorbehalten. Jeder kann sie entwickeln, sie sind in uns allen angelegt. Sie entwickeln sich mit der Zeit durch Praxis weiter – ganz unabhängig davon, ob jemand malt, musiziert, schreibt, forscht, entwirft, baut, verkauft oder berät. Kennzeichnend für die künstlerische Praxis ist, dass sie einem nicht-linearen Prozess folgt. Dieser orientiert sich zwar an einer mehr oder weniger konkreten Vorstellung, gestaltet sich aber aus dem ständigen Dialog des Künstlers mit seinem Kunstwerk heraus immer wieder neu. Der Prozess verbindet wiederkehrende Muster von Arbeitsweisen, die über viele oder alle Genres hinweg nachweisbar sind und sich als Wahrnehmung, Reflexion, Spiel und Aufführung zusammenfassen lassen.
Organisationen, denen es gelingt, ein Umfeld zu schaffen und aufrecht zu erhalten, das künstlerisches Handeln ermöglicht und fördert, Organisationen, die ihre Mitarbeiter so darin unterstützen und ermutigen, über die Zeit eine künstlerische Haltung zu entwickeln, stärken ihre Kreativitätskultur. Sie werden innovativer und verändern sich auch anderweitig. Sie legen Wert auf Vielfalt, schätzen Vielseitigkeit und Entdeckergeist als Beitrag zum unternehmerischen Erfolg. Sie streben nach Sinnhaftigkeit für ihre Mitarbeiter und entwickeln ein Selbstverständnis, das über rein wirtschaftliche Aspekte hinausgehend von einer tiefen Verbundenheit mit der Gesellschaft zeugt. Sie ermöglichen die Übernahme von Eigenverantwortung durch Gestaltungsspielraum und Freiraum. Sie besitzen Beweglichkeit, können sich kontinuierlich verändern, agil Dinge entwickeln, unabhängig davon, wie volatil oder unsicher ihr Umfeld ist.
Erkenntnisse darüber wie Künstler denken und arbeiten und wie sie mit anderen zusammenarbeiten bieten eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten in Bezug auf die Gestaltung von Organisationen. Organisationen, denen es gelingt, ein Umfeld zu schaffen und aufrecht zu erhalten, das künstlerisches Handeln ermöglicht und fördert, Organisationen, die ihre Mitarbeiter so darin unterstützen und ermutigen, über die Zeit eine künstlerische Haltung zu entwickeln, stärken ihre Kreativitätskultur. Sie werden innovativer und verändern sich auch anderweitig. Sie legen Wert auf Vielfalt, schätzen Vielseitigkeit und Entdeckergeist als Beitrag zum unternehmerischen Erfolg. Sie streben nach Sinnhaftigkeit für ihre Mitarbeiter und entwickeln ein Selbstverständnis, das über rein wirtschaftliche Aspekte hinausgehend von einer tiefen Verbundenheit mit der Gesellschaft zeugt. Sie ermöglichen die Übernahme von Eigenverantwortung durch Gestaltungsspielraum und Freiraum. Sie besitzen Beweglichkeit, können sich kontinuierlich verändern, agil Dinge entwickeln, unabhängig davon, wie volatil oder unsicher ihr Umfeld ist.
Und jetzt?
Während wir uns noch darüber freuen, dass Creative Company jetzt erschienen ist und uns dabei hilft, noch mehr Menschen in unsere Überlegungen einzubeziehen, wie das Künstlerische in jedem von uns künftig einen bedeutenderen Beitrag zur Gestaltung unserer Organisationen und unserer Gesellschaft leisten kann, geht die Arbeit natürlich weiter. Wir halten Vorträge, unterrichten an Hochschulen, entwickeln Ausbildungskonzepte und unterstützen unsere Kunden dabei, ihre ganz eigene Kreativitätskultur zu entwickeln.
Unsere Forschungsarbeit haben wir ein weiteres Mal ausgeweitet: Inzwischen sprechen wir mit Unternehmern, die bereits künstlerisch arbeiten, auch wenn die meisten von ihnen es vielleicht gar nicht so nennen würden. Mehr als 20 von ihnen haben wir getroffen, nur zwei von ihnen konnten wir in Creative Company berücksichtigen. Hier zeichnet sich also schon das nächste Buchprojekt ab.
Wir sehen den nächsten Entwicklungen gespannt entgegen oder, um es mit den Worten des Malers und Bildhauers Dottore, der als Arzt Wolfgang G. Lehmann hieß, zu sagen: „Ich sehe mein Leben wie ein Strom, der sich unaufhörlich aus Nebenflüssen speist, sich verbreitert – und weit in der Ferne liegt die Mündung. Am Abend weiß ich schon, wie es am nächsten Tag weitergeht und freue mich darauf.“